BFH v. 12.4.2021 - VIII R 46/18

Zur Verfahrensaussetzung bei zweifelhafter Annahme einer typisch stillen Gesellschaft

Erscheint es möglich, dass Einnahmen aus einer Beteiligung an einem Handelsgewerbe als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft erzielt werden, muss das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides, in dem Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG erfasst sind, gem. § 74 FGO aussetzen, bis durch einen - positiven oder negativen - Bescheid entschieden ist, ob eine gesonderte und einheitliche Feststellung geboten ist. Unterbleibt dies, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor.

Der Sachverhalt:
Der Kläger beteiligte sich als stiller Gesellschafter an der A-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Vater des Klägers ist. Zuletzt belief sich seine Beteiligung auf 30.000 €, was 20 % des im Jahr 2004 auf 150.000 € erhöhten Stammkapitals der GmbH entsprach. Laut Gesellschaftsvertrag von 2001 war der Kläger zu 20 % am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt. Betragsmäßige Obergrenzen sah der Vertrag nicht vor. An der Vermögenssubstanz und dem Firmenwert des Unternehmens war der Kläger nicht beteiligt. Bei Beendigung der Gesellschaft stand ihm eine Abfindung zu, bei deren Ermittlung stille Reserven unberücksichtigt blieben. Die Abfindung bestand aus der Rückzahlung der Einlage nach Saldierung mit einem bestehenden Verlustkonto und einem Anteil an den am Tag der Beendigung der Gesellschaft schwebenden Geschäften.

Die Geschäftsführung der stillen Gesellschaft oblag allein dem Vater des Klägers. Dem Kläger standen die Rechte nach § 716 BGB zu. Außerdem war er berechtigt, den Jahresabschluss des Geschäftsinhabers und die Buchführung durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen zu lassen. Neben dem Kläger war - zu denselben Bedingungen - auch B als stiller Gesellschafter an der GmbH beteiligt. Letzterer war wie der Kläger, dem im Jahr 2002 Einzelprokura erteilt wurde, leitender Angestellter der GmbH.

In den Streitjahren flossen dem Kläger aus der stillen Beteiligung Einnahmen i.H.v. rd. 109.000 € (2012), von 121.000 € (2013) und von 185.000 € (2014) zu, die er bei seinen Einkünften aus Kapitalvermögen erklärte. Zudem beantragte er jeweils die Durchführung der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG sowie die Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG und legte Steuerbescheinigungen der GmbH vor. Das Finanzamt erfasste in den Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre die Zahlungen als dem tariflichen Steuersatz unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Es liegt ein von Amts wegen zu beachtender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor, da das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre nicht gem. § 74 FGO ausgesetzt hat, um den - ggf. negativen - Abschluss eines Verfahrens zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte abzuwarten. Dieser Verfahrensfehler führt somit auch ohne Rüge im Revisionsverfahren zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung, damit das FG die gebotene Aussetzung des Verfahrens vornehmen kann.

Ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn zweifelhaft ist oder es nur möglich erscheint, dass Einkünfte vorliegen, an denen mehrere im Inland ansässige Personen beteiligt sind. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Zweifel rechtlicher oder tatsächlicher Natur sind. In beiden Fällen entspricht es dem materiell-rechtlichen Zweck des Feststellungsverfahrens und der dem § 179 AO zugrundeliegenden Kompetenzverteilung, eine inhaltlich identische Sachbehandlung gegenüber allen potenziell betroffenen Steuerpflichtigen sicherzustellen. Ein Feststellungsverfahren ist auch dann durchzuführen, wenn das für dieses Verfahren zuständige Finanzamt gleichzeitig für die Festsetzung der Einkommensteuer aller möglicherweise an den Einkünften beteiligter Steuerpflichtiger zuständig ist. Es kann nur unterbleiben, wenn offensichtlich ein Fall von geringer Bedeutung i.S.d. § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt.

Vorliegend war in Betracht zu ziehen, dass der Kläger die streitigen Einnahmen als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft erzielt hat und diese daher im Rahmen einer gesonderten und einheitlichen Feststellung zu erfassen sind. Gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter oder aus partiarischen Darlehen, es sei denn, dass der Gesellschafter oder Darlehensgeber als Mitunternehmer anzusehen ist. Mitunternehmer ist derjenige Gesellschafter, der kumulativ Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt. Im Streitfall durfte das FG nicht ohne weiteres annehmen, der Kläger sei nicht als Mitunternehmer anzusehen und erziele als typisch stiller Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Vielmehr ist unklar - und somit im Rahmen eines noch durchzuführenden Feststellungsverfahrens zu entscheiden -, ob der Kläger als typisch oder atypisch stiller Gesellschafter anzusehen ist.

Die Annahme einer Mitunternehmerstellung des Klägers kommt in Betracht, weil die geringere Ausprägung des Mitunternehmerrisikos des Klägers (möglicherweise) in Anbetracht seiner (spätestens ab 2002 bestehenden) Tätigkeit als leitender Angestellter und Prokurist der GmbH durch eine stärkere Ausprägung seiner Mitunternehmerinitiative ausgeglichen worden sein könnte. Nach den Feststellungen des FG bzw. den Regelungen des Gesellschaftsvertrages war der Kläger zu 20 % am Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt, ohne dass betragsmäßige Obergrenzen vereinbart waren. Jedoch war er weder an den stillen Reserven noch am Geschäftswert beteiligt. Sein mitunternehmerisches Risiko blieb mithin hinter der Rechtsstellung zurück, die das HGB dem Kommanditisten zuweist.

Allerdings könnte dieses Defizit durch eine besonders ausgeprägte Mitunternehmerinitiative ausgeglichen sein. Zwar oblag nach dem Vertrag die Geschäftsführung der stillen Gesellschaft allein dem Vater des Klägers, während er die Rechte nach § 716 BGB zustanden und er den Jahresabschluss und die Buchführung durch einen Wirtschaftsprüfer prüfen lassen konnte. Jedoch war er seit 2002 auch leitender Angestellter und Prokurist der GmbH, so dass es keinesfalls ausgeschlossen erscheint, dass ihm als solchem Aufgaben der Geschäftsführung, mit denen ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum und damit auch ein Einfluss auf grundsätzliche Fragen der Geschäftsleitung verbunden war, zur selbständigen Ausübung übertragen waren. Von einer Aussetzung des Klageverfahrens gegen die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre gem. § 74 FGO konnte nicht abgesehen werden, weil kein Fall von geringer Bedeutung vorlag.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.06.2021 11:50
Quelle: BFH online

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