BGH v. 3.8.2021 - II ZR 283/19

Keine Einführung eines neuen Streitgegenstands mit der Restitutionsklage

Es ist unzulässig, mit der Restitutionsklage einen neuen Streitgegenstand einzuführen. Die Geltendmachung eines Anspruchs der Gesellschaft gegen einen Gesellschaftsschuldner als Dritten durch einen Gesellschafter beruht auf einem anderen Anspruchsgrund als dessen Inanspruchnahme als Mitgesellschafter durch einen Gesellschafter aufgrund einer Auseinandersetzungsrechnung.

Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Rechtsnachfolger und Testamentsvollstrecker des im November 2008 verstorbenen Dr. S. Dieser war Gesellschafter der Fachmarkt M. GbR, vormals der H. GbR. Geschäftsführender Gesellschafter war der im Mai 2017 verstorbene Ehemann der Beklagten L. 1984 hatten sich die G. mbH und R zu der H. GbR zusammengeschlossen. Mitgesellschafter war auch L. Der Gesellschaftsvertrag sah vor, dass jeder Gesellschafter berechtigt sei, seinen Gesellschaftsanteil durch privatschriftlichen Vertrag ganz oder teilweise an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten abzutreten. Die Abtretung an Dritte, die nicht Gesellschafter seien, bedürfe der Zustimmung der Gesellschafterversammlung, die jedoch nur aus wichtigem Grund verweigert werden dürfe. Zur Abtretung sei ein schriftlicher Vertrag des Veräußerers und des Erwerbers und der Angabe des Namens und der Anschriften der Vertragsteile erforderlich. Für die Gesellschaft galt die Abtretung erst mit Eingang der Ausfertigung des Vertrags als erfolgt.

Dr. S und L schlossen im Mai 2003 einen Gesellschaftsvertrag, in dem sie den Gesellschaftsvertrag der H. GbR als für ihr Gesellschaftsverhältnis maßgeblich bezeichneten. Die Gesellschaft trug den Namen Fachmarkt M. GbR. Die Geschäftsanteile hielten nach dem Ausscheiden der übrigen Gesellschafter zu 45 % L und zu 55 % Dr. S. Die Gesellschaft erwarb ein Grundstück mit einem Gewerbeobjekt. 2007 wurde das Grundstück durch L und Dr. S, letzterer vertreten durch seinen Betreuer, zum Kaufpreis von rd. 4,2 Mio. € veräußert. Nach Tilgung und Lastenfreistellung war noch ein Betrag in Höhe von rd. 770.000 € vom Käufer an die Fachmarkt M. GbR auf deren Konto Nr. bei der Kreissparkasse M zu überweisen. Am 4.7.2007 ging diese Zahlung auf dem Konto ein. Am 5.7.2007 überwies L einen Teilbetrag i.H.v. rd. 740.000 € auf das Konto Nr. bei der Sparkasse M. Inhaberin des Kontos war die Beklagte. Das Konto wurde in der Buchhaltung der Gesellschaft ebenfalls als ein Buchungskonto der Gesellschaft geführt.

Die Kläger machten in der Nachfolge des verstorbenen Dr. S einen Anteil in Höhe des Geschäftsanteils von 55 % von der Zahlung von 770.000 € gegen die Beklagte geltend. Gestützt wurden die Ansprüche auf Bereicherung sowie unerlaubte Handlung im Hinblick auf eine behauptete Zusammenarbeit der Beklagten mit ihrem Ehemann und ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer und sowie darauf, dass aufgrund der Liquidation der Gesellschaft die Kläger als Gesellschafter berechtigt seien, die Forderungen gegen die Beklagte unmittelbar geltend zu machen. Die Klage auf Zahlung von rd. 400.000 € nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wurde vom LG abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sind erfolglos geblieben.

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen des L nahm die Beklagte vor dem LG München I u.a. in prozentualer Höhe des Gesellschaftsanteils ihres verstorbenen Ehemanns von der Zahlung von 740.000 € in Anspruch. In diesem Verfahren legte die Beklagte eine von ihr und ihrem Ehemann unterzeichnete Abtretungserklärung vom 2.12.1984 vor, wonach dieser seinen Gesellschaftsanteil an der H. GbR in voller Höhe an die Beklagte abtrete, die die Abtretung annehme. Weiter war vereinbart, dass die Abtretung nicht angezeigt werden solle. Zusätzlich hatte die Beklagte ein an Dr. S gerichtetes Schreiben ihres Ehemanns aus 2003 vorgelegt, in dem ausgeführt ist, dass ihr verstorbener Ehemann seine Anteile an der Gesellschaft an seine Ehefrau, die Beklagte, abgetreten habe. Dieses war von Dr. S mit "einverstanden" unterzeich net worden.

Unter Vorlage der Abtretungserklärung beantragten die Kläger die Wiederaufnahme ihres ursprünglichen Klageverfahrens im Wege der Restitutionsklage beim OLG. Sie machen geltend, dass die von der Beklagten erst im Anfechtungsprozess des Insolvenzverwalters vorgelegte Abtretungserklärung eine ihnen günstige Entscheidung im Berufungsverfahren herbeigeführt hätte. Im Restitutionsverfahren legten sie eine Auseinandersetzungsrechnung der Gesellschaft vor. Sie errechnen sich Ansprüche i.H.v. rd. 600.000 €, von denen sie mit der Restitutionsklage nur den bisher eingeklagten Teilbetrag von rd. 400.000 € gegen die Beklagte geltend machen.

Das OLG hob den im Vorprozess ergangenen, die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des LG zurückweisenden Beschluss auf und änderte das landgerichtliche Urteil teilweise ab und fasste es neu. Es verurteilte die Beklagte, an die Kläger rd. 270.000 € nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu bezahlen. Die weitergehende Klage wies es ab, die weitergehende Berufung zurück. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Kläger das Urteil des OLG auf und verwarf die Restitutionsklage der Kläger als unzulässig.

Die Gründe:
Die Restitutionsklage der Kläger ist unzulässig, weil sie nicht statthaft ist. Es ist unzulässig, mit der Restitutionsklage einen neuen Streitgegenstand einzuführen. Die Kläger haben im Restitutionsverfahren den Streitgegenstand ausgewechselt.

Gem. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO findet eine Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Für die Feststellung, ob die nachträglich aufgefundene Urkunde eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, sind außer der Urkunde nur der Prozessstoff des Vorprozesses und die im Zusammenhang mit der Urkunde vom Restitutionskläger neu aufgestellten Behauptungen zu berücksichtigen. Die Wiederaufnahme, zu der nach § 578 Abs. 1 ZPO auch das Restitutionsverfahren gehört, ermöglicht ausnahmsweise die Anfechtung rechtskräftiger Urteile, wenn diese mit gravierenden Mängeln behaftet sind. Der Vorprozess wird dazu weitergeführt (§ 590 Abs. 1 ZPO).

Die Auswechslung des Klagegrundes geht über das mögliche Vorbringen neuer Tatsachen und Behauptungen im Rahmen des Vorprozesses hinaus. Mit dem Austausch des Klagegrundes und neuen Klageanträgen wird der Ausgang des früheren Verfahrens nicht in Frage gestellt. Der Rechtsstreit wird nicht fortgeführt, sondern wird in der Gestalt eines neuen Verfahrens mit einem anderen Streitgegenstand begonnen. Es ist deshalb nicht zulässig, den Streitgegenstand in dem sog. zweiten Verfahrensabschnitt auszuwechseln, in dem zu prüfen ist, ob die vom Revisionskläger neu vorgebrachte Urkunde, hätte er sie schon im Vorprozess beigebracht, eine günstigere Entscheidung hätte herbeigeführt haben können. Im Gegensatz zur Auffassung des OLG haben die Kläger nicht nur die neu zur Verfügung stehende Urkunde vorgelegt, um damit den ursprünglichen Prozess gewinnen zu wollen, sondern sie haben den Streitgegenstand im Restitutionsverfahren ausgetauscht.

Gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird der Streitgegenstand durch das Rechtsschutzbegehren (Antrag) und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den eine Partei zur Stützung ihres Rechtsschutzbegehrens vorträgt. Vom Streitgegenstand werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen. Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht.

Allerdings können verschiedene materiell-rechtliche Ansprüche auch dann, wenn sie wirtschaftlich auf das Gleiche gerichtet sind und der Kläger die Leistung einmal verlangen kann, unterschiedliche Streitgegenstände aufweisen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Ansprüche sowohl in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen als auch in ihren Folgen verschieden sind. Entscheidend ist, ob sich die dem jeweiligen Anspruch zugrundeliegenden Lebenssachverhalte in wesentlichen Punkten unterscheiden oder ob es sich nur um marginale Abweichungen handelt, die bei natürlicher Betrachtung nach der Verkehrsauffassung keine Bedeutung haben.

Die hier der geltend gemachten Haftung zugrundeliegenden Lebenssachverhalte im Vorprozess und im Restitutionsverfahren unterscheiden sich so wesentlich, dass bei diesen Ansprüchen kein einheitlicher Streitgegenstand angenommen werden kann. Die Kläger haben im Vorprozess die Beklagte als außerhalb der Gesellschaft stehende Dritte, als Gesellschaftsschuldnerin bzw. als Mittäterin einer unerlaubten Handlung in Anspruch genommen. Es handelte sich um eine Haftung im Außenverhältnis, die sich nach dem Rechtsverhältnis der Beklagten gegenüber der Gesellschaft richtete. Die Kläger hatten insoweit (erfolglos) geltend gemacht, die der Gesellschaft zustehende Forderungen im eigenen Namen geltend machen zu können bzw. dass die Beklagte bei der Entgegennahme der Zahlung vom Gesellschaftskonto kollusiv mit ihrem Ehemann zusammengewirkt habe. Nunmehr machen sie mit der vorgelegten Urkunde geltend, dass die Beklagte Mitgesellschafterin und aufgrund der im Restitutionsverfahren zusätzlich vorgelegten Auseinandersetzungsrechnung zur Zahlung verpflichtet sei.

Der von den Klägern im Restitutionsverfahren geltend gemachte und vom OLG zugesprochene Ausgleichsanspruch betrifft das Innenverhältnis der Gesellschaft und damit einen anderen Sachverhalt, weil er in wesentlichen Punkten abweicht. Für den Innenausgleich sind allein die Regelungen im Innenverhältnis insbesondere des Gesellschaftsvertrags von Bedeutung. Der Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis setzt die Begründung der Gesellschafterstellung der Beklagten, mindestens eine einfache Auseinandersetzungsrechnung und insbesondere inhaltlich die Abrechnung der darin einzustellenden Positionen voraus. Einer auf die Auseinandersetzung der GbR gestützten Klage, hätte im Gegensatz zur Auffassung des OLG nicht die Rechtskraft der Entscheidungen im Vorprozess entgegengestanden.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.08.2021 11:33
Quelle: BGH online

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