BGH v. 5.11.2024 - II ZR 85/23
Keine Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 Fall 1 und 2 GmbHG in der zweigliedrigen GmbH bei Stimmverbots des anderen Gesellschafters
In der zweigliedrigen GmbH erübrigt sich eine Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 Fall 1 und 2 GmbHG, wenn nur die Stimmen des den Ersatzanspruch verfolgenden Gesellschafters wegen eines Stimmverbots des anderen Gesellschafters zählen. In diesem Fall ist die Klage des Gesellschafters grundsätzlich unzulässig, weil die Gesellschaft den Ersatzanspruch ohne Weiteres selbst im Klagewege verfolgen kann. Ist Gegenstand der Beschlussfassung in einer GmbH die Einleitung eines Rechtsstreits gegenüber einem ihrer Geschäftsführer und die Bestellung eines Prozessvertreters zur Verfolgung dieser Ansprüche, kann der betroffene Geschäftsführer das Stimmrecht nicht für einen Gesellschafter ausüben.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin hält 49 % der Geschäftsanteile der U. A. GmbH (fortan auch: Gesellschaft). Mehrheitsgesellschafterin ist die F. H. GmbH, die 51 % der Geschäftsanteile hält. Geschäftsführer beider Gesellschaften sind die Beklagten. Gesellschafterin der F. H. GmbH ist "weitüberwiegend" eine gleichnamige GmbH mit Sitz in Österreich. Ihre Gesellschafter sind die Beklagten, der Bruder des Beklagten zu 1) und ein Sohn des Beklagten zu 2); ihre Geschäftsführer sind die Beklagten.
Die Klägerin hat den Beklagten zur Last gelegt, dass die Gesellschaft mit notariellem Vertrag vom 30.9.2019 von der in Österreich ansässigen F. H. GmbH die Geschäftsanteile einer ebenfalls in Österreich ansässigen U. GmbH sowie die Vertriebs- und Vermarktungsrechte der Produkte der U. A. GmbH in Österreich zu einem überhöhten Kaufpreis erworben habe. Der Unternehmens- und Rechtskauf war in der Gesellschafterversammlung vom 20.11.2018 mit den Stimmen der Klägerin beschlossen worden. Ein für eine Gesellschafterversammlung am 23.9.2019 in Aussicht genommener Beschluss über die Höhe des Kaufpreises kam jedoch nicht zustande. Die Klägerin verlangte mehrfach ab dem 10.9.2020 die Einberufung einer Gesellschafterversammlung, um über folgenden Antrag zu beschließen:
"Die Ansprüche der U. A. GmbH ("Gesellschaft") gegen die Geschäftsführer der Gesellschaft und/oder die F. H. GmbH im Zusammenhang mit den in der Anlage 1 ausführlich dargestellten Sachverhalten sollen geprüft und ggf. (gerichtlich) geltend gemacht werden, insbesondere gegen die F. H. GmbH und die Geschäftsführer der Gesellschaft F. und D. H. . Herr M. L. wird zum besonderen Vertreter der Gesellschaft bestellt und beauftragt, diese Ansprüche zu prüfen und ggf. (gerichtlich) geltend zu machen."
Daraufhin leiteten die Beklagten im November 2020 unter auch namens der Mehrheitsgesellschafterin erhobenem Protest (Einberufungsverlangen sei rechts- und treuwidrig) ein Umlaufverfahren ein, in dem die Klägerin für ihren Beschlussvorschlag und die durch die Beklagten vertretene Mehrheitsgesellschafterin dagegen stimmte. Das Abstimmungsergebnis teilte die Gesellschaft der Klägerin mit dem Bemerken mit, dass eine "Beschlussfeststellung … angesichts der unklaren Rechtslage" nicht erfolge. Die Klägerin beantragte, die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von rd. 22,5 Mio. € nebst Zinsen an die U. A. GmbH zu verurteilen und festzustellen, dass sie zum Ersatz aller weiteren Schäden der Gesellschaft aus dem Erwerb der U. A. GmbH Österreich verpflichtet sind.
Das LG ordnete an, dass über die Zulässigkeit der Klage abgesondert verhandelt wird, und stellte mit Zwischenurteil fest, dass die Klage zulässig ist. Das OLG wies die Klage "als unzulässig" ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das OLG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Gesellschafterklage sind nicht gegeben.
Der Prozessführungsbefugnis der Klägerin steht der Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft entgegen. Die Gesellschafterklage ist gegenüber einem Tätigwerden der zuständigen Gesellschaftsorgane, der Geschäftsführung oder der Gesellschafterversammlung, grundsätzlich subsidiär. Dieser Vorrang entfällt dann, wenn eine Klage der Gesellschaft undurchführbar, durch den Schädiger selbst vereitelt worden oder infolge der Machtverhältnisse in der Gesellschaft so erschwert ist, dass es für den betroffenen Gesellschafter ein unzumutbarer Umweg wäre, müsste er die Gesellschaft erst zu einer Haftungsklage zwingen. An einem die Nachrangigkeit der Gesellschafterklage überwindenden Umstand fehlt es hier. Die Gesellschaft ist unter den gegebenen Umständen selbst ohne Weiteres in der Lage, die Beklagten nach § 43 Abs. 2 GmbHG haftbar zu machen.
Nach der Rechtsprechung des Senats erübrigt sich ein Geltendmachungsbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG in der zweigliedrigen GmbH, wenn der andere Gesellschafter einem Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 GmbHG unterliegt, weil die Beschlussfassung in diesem Fall eine überflüssige Formalität bedeuten würde. Unter diesen Umständen bedarf es deshalb auch keiner Beschlussfassung über die Bestellung eines Prozessvertreters. Ein solches Stimmverbot hat das OLG zu Recht bejaht. Die Mehrheitsgesellschafterin konnte hier jedenfalls nicht durch ihre organschaftlichen Vertreter abstimmen. Ist Gegenstand der Beschlussfassung in einer GmbH die Einleitung eines Rechtsstreits gegenüber einem ihrer Geschäftsführer und die Bestellung eines Prozessvertreters zur Verfolgung dieser Ansprüche, kann der betroffene Geschäftsführer das Stimmrecht nicht für einen Gesellschafter ausüben.
Bei der Beschlussfassung über die Einleitung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschafter-Geschäftsführer hat dieser nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 2 GmbHG kein Stimmrecht. Aus dem in § 47 Abs. 4 GmbHG zum Ausdruck kommenden Grundgedanken, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf, folgt zudem ein Stimmverbot bei der Beschlussfassung über die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen. Auch wenn die Geschäftsführer der Mehrheitsgesellschafterin nicht selbst Gesellschafter sind, konnten sie aufgrund des Schutzzwecks des Stimmverbots, die Abstimmung von der Verfolgung eigener Interessen des Abstimmenden freizuhalten, das Stimmrecht bei der Beschlussfassung über die Geltendmachung von gegen sie selbst gerichteten Ansprüchen nicht für die Mehrheitsgesellschafterin ausüben.
Von der Möglichkeit, zur Wahrung ihres Stimmrechts einen "unbefangenen" besonderen Vertreter zu bestellen oder entsprechend § 29 BGB gerichtlich bestellen zu lassen, hat die Mehrheitsgesellschafterin keinen Gebrauch gemacht. Hiernach kann auf sich beruhen, ob die Beklagten zudem wegen ihrer mittelbaren Beteiligung an der Mehrheitsgesellschafterin und ihres damit verbundenen Einflusses auf diese einem Stimmverbot unterlagen, was der Senat mangels Feststellung der genauen Beteiligungsverhältnisse an der österreichischen F. H. GmbH nicht abschließend zu beurteilen vermag. Von einem Stimmverbot der durch die Beklagten organschaftlich vertretenen Mehrheitsgesellschafterin gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.
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