BGH v. 5.11.2024 - II ZR 35/23
Erklärungsfrist bei außerordentlicher Kündigung des Anstellungsvertrags eines GmbH-Geschäftsführers
Bei einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags des Geschäftsführers einer GmbH aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe gilt die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Auf den Geschäftsführer einer GmbH, der kein Mehrheitsgesellschafter ist, sind die zum Nachteil des Geschäftsführers grundsätzlich nicht abdingbaren, in § 622 Abs. 1 und 2 BGB geregelten Kündigungsfristen entsprechend anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn er Geschäftsführer der Komplementärin einer GmbH & Co. KG ist und den Anstellungsvertrag unmittelbar mit der Kommanditgesellschaft abgeschlossen hat (Abgrenzung zu BAG v. 11.6.2020 - 2 AZR 374/19).
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist ein in Form der sog. Einheits-GmbH & Co. KG organisiertes Biotechnologieunternehmen, d.h. die Gesellschaftsanteile der kapitalanteillosen Komplementärin hält zu 100 % die Beklagte. Der Kläger ist mit einem Anteil von 0,6 % als Kommanditist an der Beklagten beteiligt. Zudem war er aufgrund eines mit der Beklagten geschlossenen Geschäftsführeranstellungsvertrags (GAV) seit dem 1.10.2001 als einer von zunächst zwei, später drei Geschäftsführern der Komplementär-GmbH tätig, wobei er auch die Geschäfte der Beklagten führte. Sein Gehalt und die maximale Bonuszahlung betrugen zuletzt jeweils 160.000 € jährlich. Für die ordentliche Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags ist in § 4 Abs. 1 GAV eine Frist von 12 Monaten vorgesehen. § 4 Abs. 2 GAV regelt ohne weitere Fristenregelung die Kündigung aus wichtigem Grund. Als wichtiger Grund ist u.a. die "Liquidation" der Gesellschaft aufgeführt.
Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten (GV) enthält u.a. folgende Regelungen: Nach § 7 Abs. 3 GV fasst die Gesellschafterversammlung ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit, wohingegen nach § 7 Abs. 4 a) GV für Änderungen des Gesellschaftsvertrags eine Mehrheit von 75 % der Stimmen erforderlich ist. Gem. § 8 GV verfügt die Beklagte über einen Aufsichtsrat, der gem. § 9 Abs. 1 GV sämtliche Aufgaben und Befugnisse eines Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft hat. Nach § 9 Abs. 4 Satz 1 GV hat der Aufsichtsrat das Recht, den oder die Geschäftsführer der Komplementärin zu bestellen und abzuberufen sowie den Abschluss, die Änderung und die Beendigung des jeweiligen Dienstvertrags vorzunehmen.
Die Gesellschafterversammlung der Beklagten beschloss am 8.3.2016 in Anwesenheit des Klägers einstimmig die sofortige Auflösung der Gesellschaft (TOP 1), allein gegen die Stimmen des Klägers bzgl. seines Geschäftsführeranstellungsvertrags mit der Beklagten die sofortige außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Datum bzw. Beendigung mittels Aufhebungsvereinbarung (TOP 2 Abs. 1). Der Vorsitzende des Aufsichtsrats, Prof. Dr. H. , wurde umfassend bevollmächtigt, für die Beklagte die außerordentliche und hilfsweise die ordentliche Kündigung respektive die Aufhebung des Geschäftsführeranstellungsvertrags gegenüber dem Kläger zu erklären und im Übrigen alle für oder im Zusammenhang mit der Beendigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags notwendigen und zweckmäßigen Erklärungen, auch bzgl. seiner einvernehmlichen (vorzeitigen) Aufhebung abzugeben und entgegenzunehmen (TOP 2 Abs. 2). Am selben Tag beschloss die Gesellschafterversammlung der Komplementär-GmbH deren Auflösung sowie die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer mit Wirkung zum 10.3.2016.
Mit Schreiben vom 22.3.2016, dem Kläger zugegangen am 23.3.2016, kündigte der Aufsichtsratsvorsitzende Prof. Dr. H. unter Bezugnahme auf den Beschluss der Beklagten vom 8.3.2016 namens der Beklagten und unter Verweis auf seine dort erfolgte Bevollmächtigung den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dem Kläger außerordentlich zum 30.4.2016, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt. Weiter heißt es in dem Schreiben, auch der Aufsichtsrat der Beklagten habe die außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung beschlossen und ihn bevollmächtigt, diese gegenüber dem Kläger auszusprechen. Mit Schreiben vom 7.6.2016 kündigte der Aufsichtsratsvorsitzende Prof. Dr. H. den Geschäftsführeranstellungsvertrag "erneut hilfsweise und vorsorglich", und zwar "außerordentlich, fristlos sowie erneut hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Termin" unter Beifügung des Protokolls des entsprechenden Aufsichtsratsbeschlusses der Beklagten. Zur Kündigung sah man sich aufgrund des Inhalts eines Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 18.5.2016 berechtigt.
Das LG gab den Anträgen des Klägers auf Feststellung, dass sein Geschäftsführeranstellungsverhältnis mit der Beklagten durch die ausgesprochenen Kündigungen nicht aufgelöst worden ist (Klageanträge zu 1) und 2)) statt, wies den auf Zahlung seiner Fix-Vergütung nebst Verzugszinsen bis Januar 2017 gerichteten Klageantrag zu 3) als "derzeit unbegründet" ab und erkannte die mit Klageantrag zu 4) geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht zu. Einen im Revisionsverfahren nicht angefallenen Bonus des Klägers für 2016 erkannte das LG unter Berücksichtigung einer Aufrechnung der Beklagten mit Schadensersatzansprüchen i.H.v. 2.770 € zu. Mit seinem Klageantrag zu 3) verlangte der Kläger im Berufungsverfahren zuletzt nur noch Zahlung der Fix-Vergütung für die Monate Mai und Juni 2016 nebst Verzugszinsen sowie mit seinem Klageantrag zu 4) Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Auf die beidseitige Berufung der Parteien änderte das OLG unter Zurückweisung der Berufung des Klägers das landgerichtliche Urteil ab, wies die Klage ab und verurteilte den Kläger auf die Hilfswiderklage der Beklagten, an diese 2.770 € zu zahlen.
Auf die Revision des Klägers hob der BGH unter Zurückweisung der weitergehenden Revision das Urteil des OLG insoweit auf, als die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 3) abgewiesen und der Kläger zur Zahlung von 2.770 € verurteilt worden ist. Der BGH fasste das Berufungsurteil und das Urteil des LG wie folgt neu: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger den Betrag von rd. 24.000 € nebst Zinsen zu zahlen.
Die Gründe:
Die Revision des Klägers ist nur teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf seine Vergütung für die Monate Mai und Juni 2016 in Höhe von 26.666,66 € nebst Zinsen.
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch ergibt sich aus § 615 Satz 1 BGB i.V.m. dem Geschäftsführeranstellungsvertrag des Klägers. Nach § 615 Satz 1 BGB kann der zur Dienstleistung Verpflichtete die nach § 611 BGB vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung der nicht erbrachten Dienste verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug gerät. Dies beurteilt sich nach §§ 293 ff. BGB. Die Vorschrift gibt keinen selbständigen Anspruch, sondern bewirkt, dass der (ursprüngliche) Vergütungsanspruch dem zur Dienstleistung Verpflichteten erhalten bleibt. Grundlage für den Anspruch des Klägers ist sein Geschäftsführeranstellungsvertrag, welcher jedenfalls bis einschließlich 30.6.2016 fortbestand, da weder die außerordentliche Kündigung vom 22.3.2016 noch die vom 7.6.2016 diesen zum 30.6.2016 beendet hat.
Die außerordentliche Kündigung vom 22.3.2016 konnte den Geschäftsführeranstellungsvertrag schon deswegen nicht beenden, da sie nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt ist. Bei einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrags des Geschäftsführers einer GmbH aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe gilt die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine fristlose Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Zwar haben die Gesellschafter der Beklagten den maßgeblichen Kündigungsbeschluss auf der Gesellschafterversammlung am 8.3.2016 gefasst. Das Kündigungsschreiben vom 22.3.2016 ist dem Kläger aber erst am 23.3.2016 und damit nach Ablauf der Zweiwochenfrist zugegangen.
Die vom OLG für die Zulassung der Revision als entscheidungserheblich angesehene Frage, welche Kündigungsfristen auf Dienstverhältnisse von Geschäftsführern, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, anzuwenden sind, stellt sich aufgrund der Verfristung der Kündigung hier nicht. Zutreffend ist das OLG aber davon ausgegangen, dass die Rechtsprechung des BAG, welches § 621 BGB für einschlägig erachtet (BAG v. 11.6.2020 - 2 AZR 374/19), der Rechtsprechung des BGH widerspricht, wonach auf Geschäftsführer, die keine Mehrheitsgesellschafter sind, die zum Nachteil des Geschäftsführers grundsätzlich nicht abdingbaren (§ 622 Abs. 4, 5 BGB) Kündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse (§ 622 Abs. 1 und 2 BGB) entsprechend anzuwenden sind, und zwar auch dann, wenn wie hier der Geschäftsführer einer GmbH, die Komplementärin einer Kommanditgesellschaft ist, den Anstellungsvertrag unmittelbar mit der Kommanditgesellschaft abgeschlossen hat.
Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Der Gesetzgeber hat anlässlich der Reform des Kündigungsfristengesetzes (KündFG) im Jahr 1993 in offenbarer Kenntnis der Rechtsprechung des BGH die Frage der Kündigungsfristen für Organmitglieder weder ausdrücklich angesprochen noch korrigiert. Damit hat er diese Rechtsprechung offensichtlich gebilligt. Das Kündigungsfristengesetz erfolgte in Vollziehung eines Gesetzgebungsauftrags des BVerfG und zielte ausschließlich darauf ab, die Fristen bei der ordentlichen Kündigung für Arbeiter und Angestellte sowie die Rechtslage in den alten und den neuen Bundesländern zu vereinheitlichen. Deshalb ist eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers, den persönlichen Anwendungsbereich des § 622 BGB ausschließlich auf Arbeitsverhältnisse zu beschränken, von der das BAG ausgeht, nicht erkennbar. Entgegen der Ansicht des BAG (s.o.) hat der BGH an seiner Rechtsprechung auch nach Inkrafttreten des Kündigungsfristengesetzes festgehalten.
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